Bestimmte Eigenschaften von Bornitrid legen es nahe, diesen nichtoxidischen Sonderkeramikwerkstoff als feuerfesten Füllstoff für Gießereischlichten zu benutzen. Das Büro für angewandte Mineralogie hat eine entsprechendeSchlichte entwickelt und in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Metallguß der FH Aalen die Möglichkeiten eines Einsatzes insbesonderein Druck- und Kokillengießereien untersucht.
Schlichten werden sowohl beim Sandgießverfahren als auch bei den verschiedenen Kokillengießverfahren eingesetzt. Darüber hinaus verwendet man sie als Oberflächenschutz für Gießlöffel. Sie haben die Aufgabe, eine Reaktion der Schmelze mit dem Formstoff zu verhindern, den Wärmeübergang zwischen Schmelze und konturgebender Oberfläche örtlich zu beeinflussen, eine Trennung zwischen Gußstück und Form beim Abstreifen von der konturgebenden Oberfläche zu ermöglichen.
Darüber hinaus dürfen Schlichten weder mit der Schmelze noch mit dem Formstoff reagieren. Sie solle sich einfach mit gleichmäßiger Schichtdicke auf die konturgebenden Oberflächen auftragen lassen, an der Oberfläche der Gußteile nicht partiell anhaften und, sofern sie als Verschleißschlichten aufgetragen werden, auf den konturgebenden Oberflächen der Kokillen nicht örtlich aufbauen. Darüber hinaus sollen sie umweltverträglich sein. Die zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Eigenschaften wie chemische und thermische Stabilität, thermische Leitfähigkeit und Trennwirkung sind in erster Linie abhängig von den jeweils in die Schlichten eingebrachten feuerfesten Füllstoffen.
Neben den klassischen feuerfesten Füllstoffen wie Graphit wird auch verstärkt der Einsatz von Sonderkeramikwerkstoffen in Betracht gezogen. Hier ist vor allem Bornitrid zu nennen, welches eine Reihe interessanter Eigenschaften aufweist, die einen Einsatz als feuerfesten Füllstoff in Schlichten sinnvoll erscheinen lassen [1].
Eigenschaften von Bornitrid
Bornitrid ist eine synthetisch hergestellte keramische Substanz mit der chemischen Formel BN. Für die Anwendung in Schlichten steht ein pulverförmiger Rohstoff zur Verfügung, wie er in Bild 1 in einer elektronenmikroskopischen Aufnahme in 3000facher Vergrößerung wiedergegeben ist. Deutlich ist eine plättchenförmige Ausbildung der Bornitridpartikel zu erkennen. So finden sich im linken Bereich dieser Aufnahme einige liegende Plättchen, im mittleren unteren Bereich sind einige stehende Plättchen zu erkennen, wo nur ihre Kanten sichtbar sind. Die Bornitridteilchen haben eine Größe von maximal 5 bis 8µm.
Bild 1. REM-Aufnahme (Sekundärelektronen) von Bornitridpartikeln in 3000facher Vergrößerung
Kristallstruktur. In Bild 2 ist die Kristallstruktur von Bornitrid wiedergegeben und wird mit der von Graphit verglichen. Beide Stoffe kristallisieren in einem Schichtgitter, wobei die Schichtabstände sehr ähnlich sind. Da Bornitrid - im Gegensatz zum Graphit - von weißer Farbe ist, wird es aufgrund seiner graphitähnlichen Struktur häufig auch als "weißer Graphit" bezeichnet. Daher ist zu erwarten, daß viele Eigenschaften des Bornitrids denen des Graphits sehr ähnlich sind. So lassen sich z. B. die einzelnen Schichten des Kristallgitters wie beim Graphit mit einem sehr geringen Energieaufwand verschieben. Daher kann Bornitrid auch als Festschmierstoff Anwendung finden [2].
Bild 2. Kristallstruktur von Bornitrid und Graphit
Thermische Stabilität. Wie Graphit weist auch Bornitrid einen sehr hohen Schmelzpunkt auf, der deutlich über dem anderer keramischer Stoffe liegt. In Bild 3 sind die Schmelzpunkte bzw. Sublimationspunkte verschiedener keramischer Stoffe wiedergegeben. So hat Graphit einen Sublimationspunkt von 3650°C. Bornitrid steht hier mit einem Schmelzpunkt von nahezu 3000°C an zweiter Stelle. Damit ist es anderen keramischen Stoffen wie Si3N4, SiC oder Al2O3, aber auch ZrO2 deutlich überlegen. Allerdings muß bei der praktischen Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten von Bornitrid die maximale Anwendungstemperatur beachtet werden. Diese liegt wie bei allen keramischen Stoffen deutlich unter dem Schmelzpunkt. In Bild 4 werden die maximalen Anwendungstemperaturen von Bornitrid mit denen von Graphit verglichen. Gleichzeitig werden die Anwendungsbedingungen, d. h. oxidierende oder reduzierende Atmosphäre, berücksichtigt. Unter reduzierenden Bedingungen kann Bornitrid bis etwa 1650°C, Graphit dagegen bis etwa 2500°C eingesetzt werden. Bei oxidierenden Bedingungen kehrt sich dieses Bild um, hier ist ein Einsatz von Graphit nur bis etwa 400°C möglich, bei höheren Temperaturen oxidiert er zu CO2. Bornitrid ist dagegen an Luft bis etwa 900°C stabil. Bei guter Kristallinität kann auch eine Anwendung bis 1000°C in Frage kommen. Mit einer thermischen Stabilität bis 900°C ist Bornitrid dem Graphit deutlich überlegen. Somit ist Bornitrid in dem Temperaturbereich thermisch stabil, in dem Leichtmetallwerkstoffe gegossen werden.
Bild 3. Schmelzpunkte verschiedener keramischer Stoffe verglichen mit Bornitrid
Bild 4. Maximale Anwendungstemperatur von Bornitrid (BN) und Graphit (C) bei oxidierenden und reduzierenden Bedingungen
Benetzungsverhalten. Eine der bekanntesten Eigenschaften von Bornitrid ist seine geringe Benetzbarkeit durch eine ganze Reihe von Schmelzen. Hierzu zählen auch Metallschmelzen wie z. B. von Aluminium und Magnesium sowie deren Legierungen. Die Benetzung von keramischen Stoffen durch Schmelzen wird üblicherweise durch die Angabe eines Benetzungswinkels beschrieben, sie werden meist mit Hilfe eines Erhitzungsmikroskops nach der Methode des "liegenden Tropfens" (sessile drop) bestimmt. Hierbei wird der Kontaktwinkel eines Schmelzetropfens auf dem Substrat durch Anlegen einer Tangente gemessen. Dies ist schematisch in Bild 5 dargestellt. Große Winkel (> 90°) bedeuten eine schlechte Benetzbarkeit entsprechend dem gezeichneten Beispiel, kleine Winkel (<90°) dagegen eine gute Benetzbarkeit. In drei Kurvenzügen gibt Bild 6 das Benetzungsverhalten von Aluminium auf Bornitrid wieder, verglichen mit dem von Si3N4 und Al2O3. Hier ist deutlich zu erkennen, daß Bornitrid bis zu einer Temperatur von 900°C einen Benetzungswinkel von etwa 160° aufweist, d. h., es wird von Aluminium sehr schlecht benetzt. Im Temperaturbereich von 900 bis 1000°C sinkt der Benetzungswinkel deutlich ab, und die Benetzung nimmt zu. Aber auch in diesem Temperaturbereich liegen die Werte von Bornitrid über denen von Si3N4 oder Al2O3. Auch aus dieser Darstellung ist zu erkennen, daß Bornitrid bis 900°C sehr gut als Trennmittel beim Gießen von Aluminiumschmelzen eingesetzt werden kann. Zwischen 900 und 1000°C lassen sich immer noch Benetzungsverhältnisse erreichen, die denen anderer keramischer Stoffe deutlich überlegen sind [3].
Bild 5. Zur Definition des Kontaktwinkels θ von Schmelzen auf keramischen Substraten zur Beschreibung ihres Benetzungsverhaltens
Bild 6. Benetzungsverhalten von Aluminium auf Bornitrid (BN), Siliciumnitrid (Si3N4) und Aluminiumoxid (Al2O3)
Beispiele für den Einsatz von Bornitrid-Schlichten
Die für den Einsatz im Gießereibereich entwickelte Bornitrid-Schlichte liegt in einer wäßrigen Suspension vor. In Bild 7 wird ein Gießlöffel in einer Aluminium-Sand und -Kokillengießerei mit einer Bornitrid-Schlichte beschichtet. Hierbei wird die Schlichte mit einem Blasbecher auf einen auf ca. 100 bis 120°C erwärmten Gießlöffel gesprüht. Beste Ergebnisse werden dann erzielt, wenn die Schlichte in einer dünnen Schicht aufgetragen wird. Schichtdicken von ca. 50 µm sind ausreichend. Das Auftragen dickerer Schichten wäre auch deshalb nicht sinnvoll, da Bornitrid ein sehr guter Wärmeleiter ist. Somit könnten auf diese Weise keine isolierenden Schichten hergestellt werden, wie dies von Isolierschlichten her bekannt ist. Auch andere Auftragsverfahren wie Streichen oder Tauchen sind möglich, allerdings wird oft dem Sprühen aus wirtschaftlichen Gründen der Vorzug gegeben. Bild 8 zeigt in einer elektronenmikroskopischen Aufnahme in 3000facher Vergrößerung eine durch Sprühen aufgetragene und getrocknete Bornitrid-Schlichte. Die Blickrichtung ist senkrecht auf die Oberfläche der Schlichteschicht. Aufgrund ihrer plättchenförmigen Gestalt ordnen sich die meisten Bornitridteilchen parallel zur Oberfläche des beschichteten Gegenstandes an, es finden sich nur wenige senkrecht oder schräg stehende Bornitridplättchen. Dadurch bilden sie eine relativ dichte Schicht, die für Metallschmelzen undurchlässig ist.
Bild 7. Beschichtung eines Gießlöffels mit einer Bornitrid-Schlichte mit Hilfe eines Blasbechers
Bild 8. REM-Aufnahme (Sekundärelektronen) einer Beschichtung mit einer Bornitrid-Schlichte in 3000-facher Vergrößerung
Das sehr gute Nichtbenetzungsverhalten von Bornitrid-Schlichten wird bei der Benutzung von Gießlöffeln sichtbar, da diese in der Regel der direkten Beobachtung zugänglich sind. In Bild 9 ist die Anwendung eines mit einer Bornitrid-Schlichte beschichteten Gießlöffels beim Schwerkraftkokillengießen zu sehen. Gegossen wird eine Aluminiumlegierung. Deutlich ist die sehr geringe Neigung zur Benetzung der Bornitrid-Beschichtung zu erkennen. Oberhalb des Schmelzespiegels sind keine Schmelzereste vorhanden. Auch an der Unterseite des Gießlöffels finden sich keine anhaftenden Schmelzereste, obwohl dieser vorher zum Füllen mit Schmelze vollständig in die Schmelze eingetaucht wurde. Durch die gute schmelzeabweisende Wirkung der Bornitrid-Schlichte wird die Bildung von Oxidhäuten unterbunden, die sonst beim Entleeren des Gießlöffels in den Warmhalteofen eingeschleppt würden.
Bild 9. Anwendung eines mit Bornitrid-Schlichte beschichteten Gießlöffels beim Gießen einer Aluminiumlegierung
Auch beim Gießen von Magnesiumlegierungen wurden gute Erfahrungen mit dem Einsatz von BornitridSchlichten gemacht. So kann die Oxidbildung beim Gießen von Magnesiummasseln durch die Verwendung einer Bornitrid-Schlichte vermieden werden. Als Beispiel sind in Bild 10 zwei Magnesiummasseln der Legierung AZ91 (G-MgAI9Zn1) wiedergegeben. Die obere Massel wurde in einer ungeschlichteten Masselform, die untere Massel in einer mit Bornitrid-Schlichte beschichteten Masselform gegossen. Deutlich ist auf der oberen Massel Oxidbildung in Form von schwarzen Flecken zu erkennen, die auf der unteren Massel fehlen. Die Unterdrückung der Oxidbildung ist wünschenswert, da sich sonst bei Umschmelzprozessen die Oxide in der Schmelze anreichern. Es konnte beobachtet werden, daß die Oxidbildung auch bei reineren Magnesiumlegierungen unterdrückt wird, obwohl diese Legierungen noch stärker zur Oxidation neigen. Dies gilt z. B. für eine Legierung der Zusammensetzung AZ31 (G-MgAI3Zn1), aber auch für zinkfreie Legierungen wie A7, A5 oder A2 (G-MgAl7, G-MgAl5 oder G-MgAl2).
Bild 10. Magnesiummasseln der Legierung AZ91, gegossen in ungeschlichteter (oben) und mit einer Bornitrid-Schlichte geschlichteter Masselform (unten) (Werkbild: Norsk Hydro Magnesiumgesellschaft mbH, 46240 Bottrop)
Weitere Anwendungsgebiete für Bornitrid-Schlichten sind z. B. im Bereich des Messing-Druckgusses zu finden. Erste hier durchgeführte Versuche zeigen, daß die Kokillen mit einer Bornitrid-Schlichte beschichtet werden können. Die Bornitrid-Schlichte wird hierzu im Verhältnis 1 : 10 bis 1 : 20 mit Wasser verdünnt und kann direkt auf die ca. 300°C heißen Kokillen aufgesprüht werden. Hier besteht die Möglichkeit, die bisher benutzten graphithaltigen Trennmittel durch Bornitrid-Schlichten zu ersetzen.
Die vorstehend aufgeführten Beispiele zum Einsatz von Bornitrid-Schlichten sind nicht vollständig. Weitere Anwendungsmöglichkeiten, die die gute schmelzeabweisende Wirkung des Bornitrids bei gleichzeitiger thermischer Stabilität ausnutzen, sind sowohl im Bereich von Forschung und Entwicklung als auch in der Produktion zu finden.
Zusammenfassung
Bornitrid zeigt eine Reihe interessanter Eigenschaften wie eine gute thermische Stabilität und eine sehr gute schmelzeabweisende Wirkung, die seine Verwendung als feuerfesten Füllstoff in Gießereischlichten zum Gießen von Aluminium- und Magnesiumlegierungen sinnvoll erscheinen lassen. Hierzu werden entsprechende Schlichten auf der Basis von Bornitrid entwickelt und ihre Anwendung im praktischen Gießereibetrieb erprobt.
Schlichten auf der Basis von Bornitrid lassen sich immer dann einsetzen, wenn ein Trennmittel mit einem feuerfesten Füllstoff benötigt wird, welches sich durch eine hohe thermische Stabilität auszeichnet und nicht wie Graphit schon bei niedrigen Temperaturen oxidiert. Ein weiterer Vorteil von Bornitrid-Schlichten ist die geringe Benetzbarkeit durch Aluminium- und Magnesiumschmelzen sowie deren Legierungen. Dadurch wird die Bildung von Oxidhäuten unterdrückt bzw. stark vermindert. Darüber hinaus ist Bornitrid von weißer Farbe, was auch unter dem Gesichtspunkt der Bemühungen gesehen werden sollte, eine "weiße Gießerei" zu schaffen.
Schrifttum
[1] Rudolph, S.; Klein, F.: Giesserei-Praxis (1992) Nr. 6, S. 81 - 84.
[2] Lipp, A.; Schwetz, K. A.; Hunold, K.: Journal of the European Ceramic Society 5 (1989) Nr. 1, S. 3 - 9.
[3] Nicholas, M. G.; Mortimer, D. A.; Jones, L. M., u. a.: Journal of Material Science 25 (1990) S. 2679 - 2689.
Stephan Rudolph, Tönisvorst und Friedrich Klein, Aalen
aus: Giesserei 8(1993), S. 256-259, Giesserei-Verlag Düsseldorf
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© 2023 Büro für angewandte Mineralogie · Dr. Stephan Rudolph · D-47918 Tönisvorst
Vorstehende Angaben entsprechen den im Labor und Betrieb gemachten Erfahrungen. Sie können jedoch in Anbetracht der wechselnden Verhältnisse nur als Anhalt dienen und sind in diesem Sinne als unverbindlich anzusehen. Diese Produkte sind nur für den industriellen Bereich und vergleichbare Anwendungen (z. B. Forschung und Entwicklung) bestimmt. Die beim Umgang mit Chemikalien üblichen Vorsichtsmaßregeln sind zu berücksichtigen. Schutzrechte Dritter bitten wir zu beachten.
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